STRAFVERTEIDIGER-KOLLOQUIUM 2005
Samstag, 12.11.2005
Laudatio für Rechtsanwalt Dr. Nobis aus Iserlohn
anlässlich der Verleihung des Ehrenpreis pro reo
Ich gratuliere Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege Dr. Nobis, zur Verleihung des Preises pro reo.
Und ich gratuliere der Jury, die die Entscheidung getroffen hat, den Preis an Sie zu vergeben.
Ich hebe letzteres hervor, weil ich durch diese Wahl etwas gelernt habe. Besser gesagt: sie hat mich an etwas erinnert, nämlich an das, was wir Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger eigentlich zu tun haben.
Als mich Werner Leitner anrief und mir antrug, heute die Laudatio auf den pro reo-Preisträger zu halten, da rechnete ich spontan damit, die Verdienste der Kollegen preisen zu dürfen, die – z.B. – die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von Januar dieses Jahres erstritten haben, mit der die uns häufig schmerzende Tendenz des Bundesgerichtshofs, immer überspanntere Anforderungen an das Revisionsvorbringen zu stellen, in ihre Schranken verwiesen wurde. Oder die Kollegin und den Kollegen zu rühmen, die – gleichfalls beim Bundesverfassungsgericht – das Gesetz über den Europäischen Haftbefehl zu Fall gebracht haben.
Beides, wie ich meine, bedeutende advokatorische Leistungen.
Als Werner Leitner mir dann Ihren Namen nannte, war ich, ich gestehe es, erstmal erstaunt. Denn ich brachte ihn mit einem Ereignis in Verbindung, das zunächst eher eine Welle der Solidarität als eine Woge der Bewunderung im Lande ausgelöst hatte – nämlich mit Ihrer Verhaftung durch ein Schöffengericht am 20. Mai 2003.
Zur Erinnerung:
(Ich zitiere aus dem Sitzungsprotokoll des Schöffengerichts, zitiert im Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm, das, kurzfristig zusammengeeilt, Ihre Freilassung verfügte - und obendrein die Rechtswidrigkeit der angeordneten Ordnungshaft feststellte):An diesem denkwürdigen Tag geschah im Amtsgericht Hagen das Folgende:
„Der Verteidiger unterbrach das Gericht ständig bei seinem Versuch, dem Angeklagten eine Rechtsmittelbelehrung nach Abschluss der Begründung des Urteils (es hatte auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren bei Fortdauer der Untersuchungshaft gelautet, d.U.) zu erteilen. Er wurde mehrfach aufgefordert zu schweigen. Als er diesen Aufforderungen nicht nachkam, wurde die Sitzung unterbrochen, und der anwesende RA Dr. Nobis wurde nunmehr nochmals aufgefordert, zu schweigen und den Sitzungssaal zu verlassen.
Auch dieser Aufforderung kam er nicht nach.
Daher wurde er zunächst auf Anweisung des Vorsitzenden durch die Wachtmeister aus dem Sitzungssaal geführt.
Es wurde wieder in die Hauptverhandlung eingetreten.
Dem Angeklagten wurde hinsichtlich des Urteils und des Haftbefehls eine Rechtsmittelbelehrung erteilt.
Die Sitzung wurde erneut unterbrochen, und der störende RA Dr. Nobis zur Prüfung, ob gegen ihn ein Ordnungsgeld verhängt werden solle, vorgeführt ...
Dem Störer wurde mitgeteilt, dass das Gericht erwäge, gegen ihn ein Ordnungsmittel (Ordnungsgeld oder Ordnungshaft) zu verhängen, da er nach Unterbrechung der Hauptverhandlung gegen M der Aufforderung des Gerichts, zu schweigen und den Saal zu verlassen, nicht nachgekommen sei und in unverschämter Weise weiter geredet und darauf bestanden habe, sprechen zu dürfen. Dem Störer Dr. Nobis wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Er erklärte: ‚Ich habe vor Unterbrechung der Hauptverhandlung gebeten, einen Antrag stellen zu dürfen, und nachdem dies mir nicht gestattet worden war, gebeten, zu protokollieren, dass mir nicht gestattet worden sei, einen Antrag zu stellen.’
Sodann habe der Vorsitzende nach Erinnerung des Störers noch vor Unterbrechung der Hauptverhandlung den Störer aufgefordert, den Sitzungssaal zu verlassen und darauf hingewiesen, dass gegen ihn nach dem GVG sitzungspolizeiliche Maßnahmen nicht zulässig sind.
‚Nach der Unterbrechung, so jedenfalls meine Erinnerung, habe ich gesagt: ‚Sie brauchen mich nicht zu verhaften, ich verlasse den Sitzungssaal freiwillig.’
Das Gesamtgeschehen, angefangen mit meiner Bitte, einen Antrag stellen zu dürfen, bis zu meiner Verhaftung hat insgesamt nicht mehr als 60 Sekunden gedauert.’
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärte, dass nach seiner Einschätzung ordnungsrechtliche Maßnahmen gegen den Störer nicht verhängt werden dürfen, da es sich um einen fortlaufenden Wortwechsel gehandelt hat und er deshalb seiner Verteidigerstellung durch die während des Wortwechsels erfolgte Unterbrechung der Hauptverhandlung nicht verloren hat ...
Nach Beratung wurde ... verkündet ...: In der Sache ... wird gegen den Störer Dr. Nobis gem. § 178 Abs. 1 GVG eine Ordnungshaft von einem Tag festgesetzt.“
Es folgen die Gründe der Entscheidung.
Anschließend wurden Sie, wie ich der Presseerklärung der Strafverteidigervereinigung NRW entnehme, in die JVA Hagen abgeführt, wo Sie – bis zu Ihrer Befreiung durch das OLG Hamm – drei Stunden verbringen mussten.
Ich möchte Ihr Verdienst, mit dem Sie sich diese Auszeichnung verdient haben, nicht in dem Martyrium sehen, das Sie im Gewahrsam der JVA Hagen auf sich genommen haben, um der Rechtsüberzeugung zum Durchbruch zu verhelfen, dass, wie es im Leitsatz der Entscheidung des OLG Hamm heisst, „die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen einen Verteidiger ... unzulässig“ ist. Denn diese Überzeugung war im Mai 2003 außerhalb des Sprengels des AG Hagen längst weitgehend verbreitet.
Ich sehe Ihre preiswürdige Leistung vielmehr darin, dass Sie uns durch Ihr unerschrockenes Auftreten vor einem offenbar aus dem Ruder des Rechts gelaufenen Gericht daran erinnert haben, wo das Herz der Strafverteidigung schlägt:
Nämlich im Eintreten für den Angeklagten im Hier und Jetzt der alltäglichen, präsenten Konfrontation der Verfahrensbeteiligten. Und der Ort dafür ist noch immer die Hauptverhandlung. Wir sind es mehr und mehr gewohnt, all das, was wir in unseren Fachanwaltskursen oder auf Fortbildungsveranstaltungen erworben haben, in umfangreichen schriftsätzlichen Elaboraten zu Staatsanwaltschaft oder Gericht zu tragen, um sodann in entspannten Konversationen das vermeintlich optimale Ergebnis für unsere Klientel herauszuverhandeln. Und auch dort, wo Hauptverhandlungen noch mit zunächst offenem Ergebnis geführt werden, gerate ich immer wieder in eine kolloquiumsartige Atmosphäre, in der seitenlange rechtsdogmatische Deliberationen verlesen werden. Diese neue Sachlichkeit der forensischen Advokatur hat zweifellos auch etwas mit Professionalisierung zu tun. Aber wehe dem, der durch entschiedenes, unverblümtes, wo es sein muss auch lautstarkes Eintreten für das Recht des Angeklagten aus diesem goldenen Rahmen fällt!
Den Hintergrund des Streites, den Sie am 20.Mai 2003 mit dem Amtsgericht Hagen ausfochten, erfährt man leider nicht aus dem Beschluss des OLG Hamm. Er ist allerdings in der Presseerklärung der Strafverteidigervereinigung NRW nachzulesen. Da heisst es:
„Der Festnahme war folgendes vorausgegangen:
Im Rahmen der mündlichen Urteilsverkündung erklärte der RiAG Kleeschulte sinngemäß zu einer vor der Hauptverhandlung durch den Verteidiger Dr. Nobis zugunsten seines Mandanten eingelegten Haftbeschwerde: Er habe den Angeklagten vor der Hauptverhandlung auf die Beschwerde des Verteidigers sicherlich entlassen können, habe dies aber nicht getan, weil ihn die Diktion der Haftbeschwerde mit der der Verteidiger dem Gericht offensichtlich vorschreiben wollte, was das Gericht zu tun habe, missfallen habe. Deshalb habe er bereits eingeleitete, zur Entlassung des Angeklagten dienende Ermittlungen nach Vorlage der Haftbeschwerde wieder abgebrochen und den Angeklagten weiter in Haft gelassen.’“
Jede(r) hier im Saal mag sich fragen, wie er auf ein so unverhohlenes Eingeständnis eines Rechtsbruchs durch einen Richter reagiert hätte, der dadurch ja auch zu erkennen gab, wie er mit den Freiheitsrechten anderer – einschließlich des Verteidigers - zu verfahren bereit war. Sie, sehr geehrter Herr Kollege Dr. Nobis, haben in diesem Moment getan, was zu tun war:
Weder sind Sie in lautes Wehklagen ausgebrochen, noch sind Sie mit hochrotem Kopf und mühsam unterdrückter Empörung aus dem Sitzungssaal getaumelt. Sie haben vielmehr, wie wir der Presseerklärung entnehmen, darauf bestanden, dass die Äußerung des Richters in das Sitzungsprotokoll aufgenommen werde, zur Kenntnis der Richter, die über Haftbeschwerde und Berufung würden zu entscheiden haben. Und davon haben Sie sich auch durch die Einschüchterungsversuche des Richters nicht abhalten lassen. Mit anderen Worten: Sie haben in einer durch einen Richter maßlos eskalierten Situation standhaft das Richtige getan. Richtig gehandelt. Das war und ist vorbildlich.
Es war und ist vorbildlich für uns alle, die wir trotz allen konsensualen Parfums, mit dem wir uns neuerdings gerne besprühen (lassen), immer wieder in Situationen geraten, wo die Anwendung des Rechts perforiert wird durch bloße Ausübung von Macht. Da reicht es eben nicht immer, klug zu denken und feinsinnig zu formulieren. Da kommt es darauf an, entschlossen und mutig zum richtigen Zeitpunkt zu agieren. Und die Kulisse, vor der solches Handeln gefragt ist, ist nicht in erster Linie das Oberlandesgericht soundso, sind nicht immer Große Strafkammern, es sitzen auch selten staunende Journalisten dabei. Das kann einem (ich denke jetzt nicht an bestimmte Personen) beim Amtsgericht Kenzingen so gut wider-fahren wie beim Amtsgericht Schwedt oder beim Amtsgericht Berlin-Tiergarten, beim Landgericht Schwerin so gut wie beim Landgericht München
Daran, sehr geehrter Herr Kollege Dr. Nobis, haben Sie uns erinnert. Und deshalb sind Sie der richtige für den Preis. Ich möchte sagen: Der Preis pro reo ist diesmal im doppelten Sinne ein Preis „pro nobis“.
Ich gratuliere Ihnen!
Dr. Stefan König, Berlin
Fachanwalt für Strafrecht